Umdrehen ist immer schmerzhaft, aber manchmal ist es eben die einzig richtige Entscheidung. Vor allem bei Hochtouren können Umstände eintreten, auf die man selbst keinen Einfluss hat und die den Plan über Bord werfen. Doch gibt es Situationen, in denen man nicht zögern sollte, umzudrehen. Umstände wie unbeständiges Wetter, körperliche und mentale Erschöpfung oder ungünstige Tourenverhältnisse vor Ort können die Sicherheit am Berg massiv beeinträchtigen.
Diese Tatsache bekam ich bei meinen letzten zwei Hochtouren zu spüren. Momentan ist es eh super schwierig, ein Wetterfenster zu finden, in dem die Verhältnisse für bestimmte Touren passen und man gerade auch noch Zeit dafür hat. Mich persönlich setzt das enorm unter Druck und nimmt den Spaß an der Tourenplanung, da man kaum Tage findet, an denen alles passt. Und wenn, dann ist es oft ein Wettrennen gegen das Wetter: komme ich schneller runter als das Gewitter mich einholt?
In solchen Fällen gibt es keinen Raum für Fehler, für Verzögerungen und man sollte durchaus nicht an seine Grenzen gehen, mehr Zeit einplanen und sich eventuell doch für eine weniger anspruchsvolle Tour entscheiden. Die Möglichkeit, umzudrehen, wenn die Umstände unsicher sind, sollte man sich jedenfalls vor Augen führen und womöglich handeln, wenn es nötig ist.
Nun aber zu unserem letzten Hochtour-Versuch am Großen Möseler. Wir entschieden uns dazu, die Hochtour als Tagestour anzugehen – dies ist durchaus möglich, erfordert jedoch eine gute Fitness und stabiles Wetter. Wir starrten davor tagelang auf den Wetterbericht, rechneten die Zeiten durch und ein Gipfelglück erschien realistisch, doch gab es nicht viel Zeit für Fehler.
Die Mautstraße hoch zum Schleigeisspeicher macht um 6 Uhr auf und kostet 14€. Vor der Uhrzeit ist die Schranke offen und die Durchfahrt kostet nichts. Bei uns war die Ampel jedoch rot.
Wir starten kurz vor 6 Uhr am Schlegeisspeicher und laufen im zügigen Tempo Richtung Furtschaglhaus. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir die Hütte und folgen direkt der Beschilderung zum Großen Möseler – erst einmal sind wir gut in der Zeit, der Himmel zeigt sich in schönster blauen Farbe und wir sind total motiviert.
Über die Kehren kommen wir innerhalb einer Stunde zum Gletscher, an dem wir uns anseilen, den Eispickel auspacken und Steigeisen anziehen – es kann losgehen: wir fühlen uns fit, das Wetter sieht vielversprechend aus, doch verlieren wir es nie aus den Augen.
Auf dem Gletscher kommen wir zügig voran, doch beim Einstieg zeigt sich das erste Problem: wir steigen zu der im Hochtourenführer beschriebenen Rinne hoch, die uns aber sehr brüchig erscheint: es liegt teilweise noch Schnee drin, doch bricht man bei jedem Schritt durch, die Blöcke bewegen sich ständig. Mein Bauchgefühl meldet sich zuverlässig: das kann so nicht stimmen, da steige ich definitiv nicht hoch – die Rinne erscheint uns viel zu heikel und wir steigen die steile Flanke wieder ein Stück ab und queren zum von uns links liegenden Grat.
Wir freuen uns, den richtigen Einstieg gefunden zu haben und fragen uns, warum es in unserem Führer so verwirrend und ungenau beschrieben wurde. Wir folgen Steinmännchen am Grat, doch ist der Weg teilweise immer noch etwas heikel. Wir schauen auf unseren GPX-Track in der App und versuchen dem Weg da zu folgen – es scheint so als wären wir endlich wirklich richtig.
Doch dann führen andere Steinnmännchen wieder zur Verwirrung und Unsicherheit. Wir beobachten das Wetter – langsam ziehen Wolken auf und wir wissen nicht genau, ob wir uns auf dem richtigen Weg befinden. Ich selbst befinde mich in einer Sackgasse, eventuell habe ich mich an der Stelle verstiegen. Kaum sind es noch 200 Höhenmeter zum Gipfel, der Firngrat ist in greifbarer Nähe, das Gipfelkreuz zu sehen und doch fällt die bittere Entscheidung: in dem Tempo kommen wir vor dem Gewitter nicht heil unten an, wenn wir jetzt noch weitergehen. Denn wo wir hochsteigen, müssen wir auch runter – und da ich nicht mehr auf dem Weg und auf schuttigem, weglosem, heiklen Gelände befinde, müssen wir uns für den Abstieg entscheiden.
Nicht schon wieder! – denke ich mir und bin endlos enttäuscht, doch meine Angst gewinnt den Gedankenstreit. Ich fühle mich unsicher und will nur noch eins: schnell da weg sein.
Wir queren im Aufstiegssinn zum rechten Rand der Flanke zu den Steinmännchen in einem schuttigen Gelände, in dem sich jeder Schritt unsicher anfühlt und wegrutscht. Meine Nerven liegen blank und jede Bewegung kostet extrem viel Zeit. Und wie es im Nachhinein klar wurde: wir sind unnötig gequert, also einmal wieder das ganze zurück.
Wie wir später zu Hause herausgefunden haben, gibt es mehrere Wege hoch: die Rinne, die in unserem Führer beschrieben ist, ist jedoch mittlerweile wegen Steinschlaggefahr nicht mehr zu empfehlen – doch befinden sich die Steinmännchen von der alten Wegführung auf dem Weg – und gerade die haben für uns für totale Verwirrung gesorgt. Letzten Endes hätten wir uns auf den eingezeichneten Weg in der GPS-Karte verlassen sollen – doch ist diese auch nicht zu 100% genau.
Pünktlich als wir den Grat verlassen, fängt es sofort an zu regnen – zum Glück ist das Gewitter erst einmal noch nicht in Reichweite. Doch da wissen wir sofort, dass es zwar bitter, aber die einzig richtige Entscheidung war, umzudrehen.
Als wir wieder beim Schlegeisspeicher unten ankommen, ziehen Gewitterwolken über dem Großen Möseler auf und es fängt an zu donnern. Noch ein letztes Mal beschleunigen wir unsere Schritte und kommen pünktlich vor dem Gewitter am Parkplatz an.
Moral der Geschichte
Man sollte niemals auf eine einzige Wegbeschreibung verlassen und eventuell doch noch im Internet nach möglichen Tourenberichten suchen, wenn man sich auf Hochtouren vorbereitet. Dazu kommt, dass das Wetter im Gebirge unfassbar schnell umschlagen kann – außerdem sahen die Wolken drüben über dem Olperer die ganze Zeit schon nicht wirklich vielversprechend aus. Bei einer Hochtour aus Sicherheitsgründen umzudrehen ist keine Schande – es zeigt vielmehr die mentale Stärke auf.
Eins ist sicher: wir kommen definitiv wieder – bei besseren Verhältnissen!
Hey,
Die Rinne ist gut am Anfang des Saisons zu begehen, wenn es viel Schnee drin liegt. Zu dem Zeitpunkt ist sie der richtige Weg. Wir waren im Juni 2021 dort und unsere Gruppe hat sich aufgeteilt: die in der Rinne waren deutlich schneller, der Schnee war wie einen Leiter. Aber im August geht man wohl den mühesameren Weg.
Hey Natalya,
danke für deinen Kommentar! Auf jeden Fall werden wir es irgendwann nochmal probieren, vermutlich eher die Variante in der Rinne am Saisonanfang, die klingt auf alle Fälle angenehmer, als die andere!